Standen Sie auch schon mal vor Ihrem persönlichen Abgrund?

Nein, der schaurig schöne Abgrund aus dem letzten Urlaub in den Bergen ist nicht gemeint. Sondern eher der, wenn man sich etwas „zu Schulden hat kommen lassen“.
Pfarrer Johannes Dübbelde predigt aus der evangelischen Kirche in Badenhard über den ungerechten Verwalter, über den im Neuen Testament berichtet wird (LK 16,1).

Predigtmanuskript
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LUKAS 16,1-9
Textverlesung während der Predigt.

Liebe Gemeinde,

ich beginne meine heutige Predigt mal mit einer schlichten Frage.

Die Frage lautet folgendermaßen:

Standen Sie schon mal am Abgrund?

Ich meine nicht jene schaurig-schöne Situation, wo man im Urlaub auf einer Wanderung an einer Felskante steht und mit einem mulmigen Gefühl in die Tiefe schaut, aber eigentlich nur die schöne Landschaft genießt,

sondern: Ich meine jenen Abgrund, der sich zuweilen ganz plötzlich auftut im Leben eines Menschen – zum Beispiel finanziell, beruflich, familiär oder seelisch.

Es können Situationen sein, in die wir, wie auch immer, selbst- oder auch fremdverschuldet, ganz plötzlich hineingeraten können.

Da können sich schon mal Abgründe auftun.

Die Soldaten der beiden Weltkriege zum Beispiel, an die wir uns an dem heutigen Volkstrauertag ganz besonders erinnern, kannten dieses Gefühl sehr genau.

Sie wussten, wie das ist, wenn man von einer fanatischen, machtgeilen Regierung in einen Krieg getrieben wird. Wenn man dann unversehens im Schützengraben landet, und auf einmal gibt es nur noch die Alternative: Entweder töten oder getötet werden.

In solchen Situationen kann man schon mal ins Grübeln kommen über den Sinn des Lebens im allgemeinen, aber auch über den Sinn von Recht und Unrecht im Besonderen, und über den Sinn von Bestimmungen und Gesetzten.

Zuweilen steht man dann ganz plötzlich vor der Frage: Wie ist das eigentlich mit der Schuld?

Es gibt Situationen, da wird man einfach schuldig, wie man auch immer man sich verhält.

Wie gesagt: Da kann man schon mal ins Grübeln kommen, vorausgesetzt, man hat überhaupt noch Zeit zum Grübeln oder Nachdenken.

Denn manchmal steht man nicht mehr nur am Abgrund, sondern: Der Boden ist schon dabei, einem unter den Füßen weg zu rutschen. Die Knie sind weich geworden, und im ganzen Körper herrscht nur noch Adrenalin.

Was um Himmelswillen kann man denn da noch tun?

In der Bibel wird von einem Mann berichtet, dem es genau so ging.

Wie dieser Mann heißt: Keine Ahnung. Was er verbrochen hat: Keine Ahnung, es wird einfach nicht erwähnt.

Was man aber weiß: Der Mann ist leitender Angestellter einer großen Firma. Er hat eine große Verantwortung, sehr viel Geld zu verwalten, und sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter sich.

Plötzlich tauchen Vorwürfe auf. Irgend jemand hat ihn angezeigt. Wer? Warum? Wieso? Keine Ahnung.

Nur der Vorwurf steht im Raum: Du hast Geld unterschlagen, du hast dich bereichert, du – bist Schuld!

Es kommt, wie es kommen musste:

Die Innenrevision steht auf der Matte, der Chef der Firma, die Staatsanwaltschaft ist im Anmarsch.

Und der Mann? Er steht am Abgrund. Beruflich, finanziell, seelisch – und vermutlich auch familiär. Denn welche Ehefrau macht sowas noch mit?

Der Mann fragt sich:
Was um Himmels willen kann ich tun?

Der Mann denkt kurz nach.

„Augen zu und durch!“ Schießt ihm in den Kopf.

„Aus der gegebenen Situation das beste machen, was noch irgendwie möglich ist!

Vielleicht, so denkt er sich, vielleicht gibt’s ja neben den irdischen Gesetzen auch noch ein anderes Recht, eines, das nicht in Paragraphen formuliert ist und von Behörden überwacht wird.

Mehr intuitiv als genau überlegt, macht sich der Mann noch im letzten Moment, an dem er was bewegen kann, ans Werk.

„Her mit der Liste der Firmen und der Leute, die wir abgezockt haben“ befiehlt er seiner Sekretärin. Schnell, ruf sie alle an:

Sie sollen kommen und wir erlassen jedem Einzelnen die Hälfte seiner Schulden – oder mindestens 20 Prozent

Gesagt, getan, wir geben Brief und Siegel drauf“.

Das ist alles, was wir über den Mann erfahren.

Wie es nach seiner Tat mit ihm weiterging?

Keine Ahnung!

Vermutlich wurde er gefeuert, und vielleicht sogar heftig bestraft.

Aber nichts genaues weiß man nicht.

Frage: Warum erfährt man das nicht?

Antwort: Weil unseren Herrn Jesus, der uns und seinen Freunden die Geschichte dieses Mannes hinterlassen hat, der Mann interessiert, aber nicht seine Strafe und auch nicht, was er verbrochen hat und wie und warum.

Sondern: Jesus geht es hier ganz konkret nur um die Frage, wie ein Mensch aus der beschissenen Situation, in der er nun mal, aus welchen Gründen auch immer, ist, noch das Bestmögliche macht, also irgendetwas tut, was gut ist.

Er weiß es nämlich ganz genau:

Schuldig werden wir Menschen immer und immer wieder mal, da kann man machen, was man will.

Menschen leben nun mal in der Schuldverflochtenheit dieser Welt, und ja: Es gibt große Schuld.

Das weiß und das wusste Jesus, das wussten sein Jünger, und das dürfte auch uns in hinreichender Weise grundsätzlich und zuweilen auch sehr konkret in unserem Leben klar sein.

Die Frage ist: Was machen wir damit?

Was machen wir aus dieser Situation?

Die Geschichte von diesem „Leitenden Angestellten“ steht im 16. Kapitel des Lukasevangeliums, und zwar in einem größeren Zusammenhang.

Dieser größere Zusammenhang lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen:

Über viele Kapitel hinweg erzählt Jesus seinen Jüngern, seinen Freundinnen und Freunden:

Nur Geschichten, in denen es um Vergebung von Schuld, um Heilung und, in Gottes Namen, um Neue Anfänge und um neue Chancen im Leben der Menschen geht.

Und mittendrin diese Geschichte:

Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. 2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. 3 Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. 4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. 5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte den ersten: Wieviel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Er sprach: Hundert Eimer Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7 Danach fragte er den zweiten: Du aber, wieviel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Sack Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. (Lukas 16,1-7)

Wie gesagt, liebe Gemeinde: Wie es mit diesem Menschen weiter ging – keine Ahnung. Wir wissen es nicht.

Was wir allerdings wissen, ist das, was Jesus zu dieser Geschichte gesagt hat:

Er hat gesagt:

8 Und der Herr – (Jesus lässt es hier offen, wer dieser „Herr“ ist, der Chef der erwähnten Firma oder der Herr der ganzen Welt) – lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.

Denn… (und wir können uns das vielleicht sogar bildlich vorstellen, wie Jesus in diesem Moment etwas versonnen in den Himmel schaut und ganz weit weg ist von der Situation, in der er sich gerade befindet) … denn: die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.

Dieser Satz klingt ja ziemlich metaphysisch, aber vielleicht ist etwas durchaus handfestes gemeint.

Manche Geschäftsleute, die jahrelang im Dreck der Korruption und der Geschäftemacherei gelebt und gewebt haben, wissen, wenn sie in den Abgrund gerutscht sind, möglicherweise sogar sehr viel besser als andere, die nie in eine solche Situation gekommen sind: Worauf es eigentlich ankommt im Leben.

Am Ende dieser ganzen Geschichte, so stelle ich mir vor, hebt Jesus seine Augen auf und sagt zu seinen Freunden:

Ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn es zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.(Vers9)

Ich frage mich, was ist denn das, der ungerechte Mammon?

Klare Ansage von Jesus: Ja, es geht um Geld.

Und es geht sehr konkret um die Frage, mit der er seine Freunde konfrontiert: Was macht denn Ihr mit Eurer Knete?

Macht Ihr was Vernünftiges damit oder redet Ihr auch nur über die reichen Knöpfe, die ach so korrupt sind.

Liebe Gemeinde, natürlich, es gibt sie: Die reichen Knöpfe, die korrupten Geschäftemacher, die bestraft werden müssen, und die durchaus auch bestraft werden.

Doktor Thomas Middelhoff zum Beispiel.

Doktor Thomas Middelhoff war einer der bedeutendsten Manager Deutschlands, bis zu seiner Verhaftung, gestern auf den Tag vor genau sechs Jahren, am 14. November 2014.

Wegen Fluchtgefahr musste er vom Gerichtssaal in Essen gleich in den Knast.

Alle Welt hat sich damals darüber aufgeregt. Presse, Fernsehen, alles inklusive.

Der Mann war am Ende. Einsam, krank, verlassen, auch die Familie: Kaputt.

Wie ging es weiter mit ihm, diesem „Abzocker“ ?

Im großen und ganzen wurde es still um ihn, aber hier und da befinden sich noch Spuren und Hinweise.

Die Journalistin Andrea Seibel veröffentlichte am 2. Mai 2016 einen Artikel in der Zeitung „Die WELT“ (https://www.welt.de/debatte/kommentare/article154972833/Middelhoff-der-Buesser-von-Bethel.html?cid=socialmedia.email.sharebutton )

mit der Überschrift: „Middeloff, der Büßer von Bethel“.

Im Text heißt es:

„Der wegen Untreue und Steuerhinterziehung verurteilte Manager arbeitet nun im Freigang in der Bodelschwinghschen Stiftung nahe Bielefeld als Hiwi. Könnte es gar sein, dass er doch ein Suchender ist(?), der dem ohnehin nicht guten Ansehen von Managern in Deutschland einen schweren Schlag verpasste: Thomas Middelhoff, gestartet als Multitalent bei Bertelsmann, gesegelt in ungeahnte Höhen von Einfluss, Luxus und Prominenz. Und bruchgelandet vor der deutschen Justiz, die ihm drei Jahre Freiheitsstrafe wegen Untreue und Steuerhinterziehung auferlegte.
Zuletzt war von ihm die Rede, als er wegen gesundheitlicher Probleme gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Eine Revision wurde abgelehnt, die Strafe wird er wenige Tage vor seinem 63. Geburtstag am 6. Mai antreten. Der Fall erinnert an den des Steuerhinterziehers Uli Hoeneß. Recht wird gesprochen, unabhängig von Ansehen und Person. Und plötzlich wird groß zu klein, eine gewisse Demut und Nacktheit der Existenz ist zu spüren, wohl wissend, dass es gerade für die Prominenz ein langer, steiniger Weg zur Resozialisierung werden könnte. Denn was ist die wahre Welt? Das Gefängnis aber ist doppelte Strafe, denn hier lauert die ganz andere Rache der speziellen Männerinsassenwelt an den „Reichen“. Hoeneß wusste sich diesem Mobbing durch Freigang zu entziehen. Tagsüber die Jugend des FC Bayern betreuen und nachts zurück.
Tisch decken, abräumen, aufräumen

Und Middelhoff? Er wählt die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, wenige Straßen von seiner Haftanstalt in Bielefeld entfernt, wo man sich behinderten Menschen widmet.
Man sieht den Delinquenten ganz in Grau die Arbeit antreten, ein sozialversicherungspflichtiger Hilfsjob, den die renommierte diakonische Einrichtung „Menschen in problematischen Lebenslagen und Situationen von Schuldverstrickung“ gewährt.
Er wollte das so. Tisch decken, abräumen, aufräumen. Dinge von A nach B tragen. Vielleicht sogar putzen. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren: Ja, das hat etwas. Das ganz banale, alltägliche, kleine und doch so wichtige und richtige Leben.
Könnte es sein, dass das mehr als Kalkül ist? Einem kalten Fisch wie Middelhoff wird vielleicht nie verziehen – so wie dem Bayern. Könnte es also sein, dass er doch ein Suchender ist? Ein Büßer gar in Bethel?“

So weit das Zitat.
Nun ist es ja so, dass wir immer wieder gerne über andere Menschen und ihren Umgang mit dem Geld reden und reden möchten, aber – wie ist das eigentlich mit uns selbst? Und was macht ein solcher Bibeltext eigentlich mit uns ?

Ich möchte schließen mit einer ebenso schlichten Frage wie am Anfang:

Wissen Sie schon, was Sie mit der Steuerrückerstattung machen wollen, die Ihnen das Finanzamt völlig überraschend vor gar nicht all zu langer Zeit zurücküberwiesen hat?

Das walte Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Johannes Dübbelde


Abkündigungen

Mittwoch, 18.11.2020
19 Uhr Gottesdienst zu Buß- und Bettag
Ev. Kirche in Emmelshausen
Wir bitten um – Anmeldung zum Gottesdienst – entweder bis spätestens Mittwoch, den 18.11.2020 um 12.00 Uhr im Ev. Gemeindebüro, Tel.: 06747 7320 (AB) oder bei Pfr. Markus Risch, Tel.: 06747 326 (AB).

Sonntag, 22.11.2020 (Ewigkeitssonntag)

Badenhard: 09.30 Uhr Gottesdienst
Buchholz: 09.30 Uhr Gottesdienst
Emmelshausen: 10.45 Uhr Gottesdienst mit Kindergottesdienst
Pfalzfeld: 11.00 Uhr Gottesdienst

Wir bitten um – Anmeldung zum Gottesdienst –

entweder bis spätestens Freitag, 20.11.2020 um 12.00 Uhr
im Ev. Gemeindebüro, Tel.: 06747 7320 (AB) oder

bei Pfr. Markus Risch, Tel.: 06747 326 (AB)
für Buchholz und Emmelshausen oder

bei Pfr. Johannes Dübbelde, Tel.: 06746 343 (AB).
für Badenhard und Pfalzfeld

Wir feiern weiter Gottesdienst unter den jeweils gültigen AHA-Regeln.
Zum Gottesdienst bitten wir einen Mund-Nasen-Schutz mitzubringen und auf die Hygiene- und Abstandsregeln zu achten.

Kollekte:

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Als Verwendungszweck geben Sie an

  1. Hilfe für Bedürftige
  2. Diakonische Familienarbeit

Unsere Bankverbindung lautet:

Evangelische Kirchengemeinde Emmelshausen-Pfalzfeld
Volksbank Hunsrück-Nahe eG
BIC: GENODED1KHK
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Kommentar ( 1)

  1. Antworten
    Heike Merg sagt:

    Haben uns die Predigt gerade angeschaut, war uns ein hilfreiches Wort in diesen Zeiten.

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