Predigt zum letzten Sonntag nach Epiphanias 2020 (Offenbarung 1,9-18)

9 Der Auftrag an Johannes
Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.
10 Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune,
11 die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.
12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter
13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.
14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme
15 und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte
18 und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.


Liebe Gemeinde,

kennen Sie das auch: Wenn es im Leben einmal brenzlig wird, dann kommen die Bilder in die Köpfe der Menschen.

Und wenn ein Mensch in einer schlimmen Situation mal z.B. nicht mehr reden kann oder nicht mehr hören oder gar nichts mehr wahrnehmen kann, und nach außen quasi tot zu sein scheint, dann, ja dann, so berichten es jedenfalls Menschen, die sowas schon mal erlebt haben, dann werden die Bilder im Kopf des Menschen wach und lebendig.

Und nicht selten haben dann gerade diese Bilder, so fremd und merkwürdig sie auch auf den ersten Blick erscheinen, in ganz besonders intensiver Weise mit der Realität zu tun.

Vor einigen Jahren verunglückte in der Schweiz ein Aarchitekt bei einem schweren Verkehrssunfall.er war dabei aus dem Auto geschleudert worden und dann mit Knochenbrücken bewusstlos auf der Straße liegen geblieben. Dabei hatte er ein seltsames Erlebnis, das er später folgendermaßen aufgeschrieben hat:

„Ich schwebte über der Unfallstelle und sah mich dort selbst liegen, meinen leblosen, schwerverletzten Körper. Ich sah ihn in genau der Lage liegen, die ich später auch im Polizeibericht wieder fand. Ich sah sogar noch, wie ein Arzt sich um mioch bemühte und ich hörte auch noch die Stimme des Arztes, wie er sagte: „Tot, nichts mehr zu machen“

Nun werden Sie vielleicht sagen: So was gibt’s ja gar nicht, das ist Fantasie, das sind Vorstellungen, Gefühle,

Tatsache ist aber, dass es solche Berichte immer wieder gibt.

Nahtoderfahrungen nennt man das heute, und das sind Erfahrungen und Berichte, die man bis in die Naturwissenschaften hinein durchaus ernst und zur Kenntnis nimmt.

Interessant ist, dass in diesen Berichten, von denen es inzwischen viele gibt, immer wieder Parallelen gibt. Zum Beispiel sagen viele im Rückblick übereinstimmend, dass sie in ihrer Nahtoderfahrung zum Beispiel ein ganz großes, helles Licht gesehen und ein tiefes Gefühl gehabt haben, dass dort, in dieser anderen Welt alles gut, und viel schöner sei als alles Bisherige.

Manche sagen rückblickend sogar: „Schade, dass ich wieder zurück ins Leben geholt wurde, es war so schön!“

Nun sind ja solche Bilder für uns, die wir so etwas noch nicht erlebt haben, und auch nicht unbedingt erleben wollen, jedenfalls nicht sofort, etwas ziemlich fremdes und unheimliches.

Wobei es schon beeindruckend ist, wenn man einem Menschen begegnet, der so eine Erfahrung schon mal gemacht hat.
Wobei man sagen muss, dass es Menschen, die so ein Nahtoderlebnis schon mal gehabt haben und uns, den anderen, davon erzählen wollen, in der Regel ziemlich schwer fällt, anderen Menschen ihre Erfahrungen wirklich ‚rüberzubringen bzw. zu vermitteln. Sie sagen dann meistens: Ach weißt Du, was ich erlebt habe, das kann man gar nicht erzählen, das muss man erlebt haben.

In den vergangenen Tagen gab es im Fernsehen mehrere Berichte über Menschen, die Auschwitz erlebt und dort auch Nahtoderfahrungen hatten. Auschwitz war ja so etwas wie eine Alltags-Nahtoderfahrung. Auch diese Menschen sagten in ihren Berichten immer wieder: Auschwitz, das kann man gar nicht beschreiben, das muss man erlebt haben.

Ich denke, so ähnlich geht es uns auch mit den Erfahrungen und Bildern, die Johannes, der Seher der Offenbarung, uns hier übermittelt.

Da hören wir von der Stimme, die mit ihm geredet hat, von den sieben goldenen Leuchtern, wir hören von dieser Gestalt mit einem langen Gewand, einem goldenen Gürtel, schneeweißem Haar, den Augen wie eine Feuerflamme, Füßen wie Golderz, einer Stimme wie Wasserrauschen, einer Hand mit sieben Sternen und einem Gesicht wie die Sonne, wir können das alles mit unseren Ohren hören, aber wie das war für diesen Menschen Johannes, wie tot vor dieser Gestalt zu liegen und dann aus dem Mund dieser Gestalt diese Worte zu hören: „Ich bin der erste und der letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit undich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle“, das können wir, die wir hier auf dieser Kanzel stehen, und die wir hier in unserer Kirchenbänken sitzen, wenn überhaupt, nur sehr andeutungsweise und vielleicht schemenhaft nachempfinden.

Johannes, der Seher der Offenbarung. Wer war dieser Mann, der, vermutlich in hohem Alter, gefangen auf einer Insel, zurückschaut auf sein Leben.

Man vermutet, dass er in jungen Jahren der Lieblingsjünger Jesu gewesen ist, Zeuge des Todes Jesu und seiner Auferstehung. Zeuge auch der ersten christlichen Gemeinden in Kleinasien, an deren Gründung er selbst auch maßgeblich beteiligt war, und die nun verfolgt wurden, weil sie dem römischen Kaiser die von ihnen geforderte Anbetung des Kaisers als alleinigen Gott abgelehnt haben.

Johannes, der Seher der Offenbarung, er war nun selbst auch ein Gefangener auf der Insel Patmos im Mittelmeer, ein gebrechtlicher alter Mann, am seines Leben und seiner Kraft.

Er war ein Mann, der ohne Hoffnung geblieben wäre, wenn, ja wenn da nicht plötzlich dieses Bild gewesen wäre, nein, diese Erfahrung gewesen wäre, diese Stimme, der hinter sich gehört hat, eine Stimme wie von einer Posaune, und er selbst mittendrin in diesem Bild, dieser Szene, und er dreht sich um, und das ganze ist kein Bild mehr, sondern eine reale Erfahrung, nicht von dieser Welt, aber doch von einer Wucht, die der sogenannten Realität die Stirn zu bieten vermochte – und offenbar immer noch vermag.

Wer in den vergangenen Tagen im Fernsehen die Berichte von Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz gesehen und gehört hat, der konnte miterleben, dass es oft die Bilder und Erfahrungen der Hoffnung in den Köpfen gewesen sind, die mit der Realität des Lagerlebens nichts zu tun hatten, aber stärker waren als der Tod, der täglich vor Augen und Realität gewesen ist.

Johannes, der Seher der Offenbarung, lässt keinen Zweifel daran, dass er in der Gestalt dieser himmlischen Figur keinen anderen sieht als den gekreuzigten Herrn Jesus, der ihm schon zeit seines Lebens nah gewesen ist.

Der evanglische Theologe Karl Heim hat mal eine Predigt über diese Bibeltext geschrieben und als Überschrift „Ein Blick hinter den Vorhang“ geschrieben.

Das ist wohl zutreffend, denn hier, in diesem Text, sieht ein Mensch blitzartig Gott selbst vor sich. Und er erfahrt ihn als einen, der einerseits unheimlich erscheint, aber, der letztlich Leben und Freude schenkt, indem er die rechte Hand auf ihn legt und sagt:

„Wenn du tot bist, dann komme ich zu dir. Und ich nehme dich heraus aus deinem Leid,ich gebe dir das Leben, denn ich war selbst ein Toter und siehe, ich bin lebendig in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel auch deines Todes und der Hölle.

Ich habe den bitteren Kelch selber ausgetrunken bis zur Neige. Und jetzut trage ich das überirdische Leben in mir, das leben, das unerschöpflich strömt von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Dem Tod und der Hölle habe ich die Schlüssel entrissen. Sie werden, was sie geraubt haben, hergeben müssen. Und sie werden keine Macht über dich haben.

Du gehst ins Leben ein, darum fürchte dich nicht.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Datum: 02.02.2020
Prediger: Johannes Dübbelde