Predigt zum Ewigkeitssonntag 2020

1. Kor. 15,12-20 und Röm. 8,38-39

Liebe Gemeinde,

wer mich kennt, der weiß, dass ich nicht nur selber ein Pfarrer bin, sondern auch noch der Sohn eines Pfarrers.

In der Studienzeit war das für mich zuweilen von Vorteil, zum Beispiel dann, wenn es darum ging, in der Vorbereitung auf Prüfungen mal von einem kompetenten Gegenüber abgehört zu werden.

In der Regel war mein Vater einigermaßen geduldig. Er konnte aber auch sehr ungeduldig werden. Zum Beispiel, wenn ich in Bibelkunde seine Lieblingsstellen nicht wie aus der Pistole geschossen aufsagen konnte.

Am schlimmsten war das, wenn es um Römer 8, die Verse 38 und 39 ging. Dort schreibt der Apostel Paulus:

„Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgend eine andere Kreatur uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesusu ist, unserem Herrn.“

Immer dann, wenn mein Vater den Eindruck hatte, dass ich diese Verse nicht genau so verstand, wie er meinte, dass das nötig sei, konnte es gut sein, dass er zu einem längeren Vortrag anhob, der, kurz zusammengefasst, folgenden Inhalt hatte:

Jesus Christus ist von den Toten auferstanden. Er hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium (2. Tim. 1,10). Wer diese Tatsache nicht glaubt, der hat vom christlichen Glauben nichts, aber auch gar nichts verstanden.

Gefühlt hundert Mal hat mein Vater mir diesen Vortrag gehalten.

Nun ist das ja mit dem Glauben so eine Sache. Manchmal glauben wir, manchmal aber auch nicht. Glauben, vertrauen, sind zwei Seiten einer Medaille.

Vieles hängt davon ab, in welcher Stimmung wir gerade sind, und auch das kennen wir:

Da stehen wir als Familie am Totenbett unseres Vaters oder unserer Mutter, und jede und jeder von uns hat ein anderes Gefühl im Hinblick auf den verstorbenen Menschen, aber auch im Hinblick auf das Leben nach dem Tod.

Neben all den Gefühlen, die sich in einer solchen Situation unserer Seele bemächtigen, sind es ja auch noch die ganz banalen Dinge, die sich uns aufdrängen, als gäbe es nichts wichtigeres.

Der Bestatter will sein Geld haben, und wie ist das überhaupt mit Beerdigungen unter Coronabedingungen? Wie sind denn da gerade die aktuellen Vorschriften? Kann man überhaupt Kaffee trinken oder ist das verboten? Wie ist das mit Blumen auf dem Grab, und was denken die Leute?

Kurz um: Die Gefühle schlagen hohe Wellen.

Am Ende kommt auch noch der Pfarrer und redet über das Ewige Leben. Auch das noch, wo man doch mit dem hiesigen Leben schon genug zu tun hat.

Da ist zum Beispiel die Beerdigungsanzeige, die in die Zeitung soll. Der Bestatter überreicht uns eine Mappe, in der Formulierungsvorschläge stehen. Zum Beispiel dieser: „Du bist nicht mehr unter uns, aber in unseren Herzen lebst du weiter!“

Wir lesen solche Sätze, und in der Verlegenheit der Situation übernehmen wir auch zum Beispiel diesen, obwohl wir genau wissen, dass er genau so richtig ist, wie er falsch ist.

Denn so sehr wir in der Erinnerung verhaftet bleiben, so klar ist auch, dass unser Herz überfordert wäre, wenn es auf ewig die Last der Erinnerung mit sich herumtragen müsste.

Der Apostel Paulus schreibt: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendsten unter den Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind“.

Es geht in diesem Satz unter anderem darum, dass unser Herz wieder frei werden soll. Ja, wir dürfen auch vergessen, was gewesen ist. Mehr noch: Wir sollen es sogar vergessen, denn unser Herz hat ein Recht darauf, wieder frei zu werden, es sehnt sich geradezu danach.

Weg mit der Last der Erinnerung!

Und, ja: Wir dürfen wieder offen sein für neue Anfänge, wir sollen es, in Gottes Namen(!), sogar!

Trotzdem: Die Sache mit dem Glabuen ist nicht immer so einfach. Stellen Sie sich mal vor, sie werden in der Fußgängerzone von einem Fernsehteam befragt, ob Sie daran glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden ist.

Mal abgesehen von dem Überraschungseffekt, den eine solche Situation mit sich bringt, steht doch die Frage im Raum: Wie sieht es mit diesem Glauben bei uns aus?

Im Glaubensbekenntnis, das wir vorhin hier, im geschützten Raum der Kirche schon gesprochen haben, haben wir „ja“ gesagt.

Aber im realen Leben ist die Antwort oft auch „Naja, irgendwie glaube ich das ja, aber so genau weiß ich’s auch nicht. Ich meine, ich glaube mal mehr und mal weniger“.

An dieser Stelle wird Paulus deutlich. Er sagt: Es gibt Fragen, die kann man mit „mal so, mal so“ beantworten, oder mit „mal mehr, mal weniger“. Zum Beispiel die Frage „wie geht’s dir denn so?“. Da kann die Antwort sein „naja, so einigermaßen“.

Aber dann gibt es auch Fragen, die man nur mit „ja“ oder mit „nein beantworten kann.

Zum Beispiel die Frage: „Wohnst du in Pfalzfeld, Niedert, oder Hungenroth?“ – da kann man auch nicht „mal mehr, mal weniger, aber so ganz sicher bin ich mir da nicht“ sagen.

Die Frage, ob wir daran glauben, dass Jesus Christus von den Toten auferstanden ist, gehört zu dieser zweiten Sorte von Fragen.

Entweder wir glauben es – oder wir glauben es eben nicht.

An dieser Frage entscheidet sich Sein oder Nicht-Sein des christlichen Glaubens.

Als wir am Totenbett standen, da war die eine Sicht der Dinge „Ja, dieser Mensch ist tot, es ist das Ende, dieses(!) Leben ist vorbei.

Aber die andere Sicht war die: „Mutter, du hast es geschafft! Der Kampf ist vorbei, die Schlacht ist geschlagen, eine neue Tür ist aufgegangen!“

Entweder man glaubt es oder man glaubt es eben nicht!

Wenn man’s glaubt, geht’s weiter – durch die Tür, durch das Tor, in das neue Leben hinein.

Wenn man’s nicht glaubt, dann bleibt man auf dieser Seite stehen, dann bleibt man dem Tode verhaftet, und dann bleiben auch die untröstlichen Bilder vom Totenbett.

Paulus schreibt: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendsten unter den Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind“.

Die Frage steht im Raum: Wie kann ein solcher Glaube, ein solches Vertrauen in unserem Leben real werden und Raum gewinnen?
Menschliche Begegnungen gehören dazu, Gespräche, Umarmungen, Liebe, auch in Coronazeiten. Das ist, Gott, sei’s geklagt, nicht einfach, aber: Wir leben doch auf Hoffnung hin.

Rituale gehören auch dazu, zum Beispiel unser gemeinsames Erinnern heute.

Manchmal gibt es aber auch die kleinen Überraschungen, die der Glaube bereit hält, der über die Grenzen von Tod und Leben hinwegreicht.

Sie kommen zuweilen in einem banalen Alltagsgewand daher, entfalten aber gerade dadurch eine besondere Wirkungsmacht.

Wenn zum Beispiel der eigene Sohn plötzlich so ähnlich lächelt wie der Opa, oder wenn die Tochter das Leib- und Magengericht genau so hinbekommt wie die Oma, dann, ja dann wird zuweilen eine Spur von dem erkennbar, was Paulus gemeint hat.

Eine Spur, aber nur eine Spur. Denn am Ende geht es um noch viel mehr: Es geht nicht nur um die Kleinigkeiten, die kleinen Spuren des ewigen Lebens, die wir schon hier, in diesem Leben erfahren und sehen können, sondern: Es geht um nichts geringeres als um das end-gültige Sein bei Gott, der den Himmel und die Erde gemacht hat.

Ein kleiner Nachtrag zum Schluss:
Mein Vater ist im September 2018 gestorben, meine Mutter am Tag des erstens Lockdowns, am 15. März 2020.

Vor einigen Wochen habe ich das Auto sauber gemacht, das meine Eltern in ihren letzten Jahren benutzt haben. Beim Ausräumen des Handschuhfachs entdeckte ich einen kleinen, unscheinbaren Zettel. Auf diesem Zettel hatte mein Vater mit seiner Handschrift genau diesen Vers aufgeschrieben:

„Ich bin gewiß, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgend eine andere Kreatur uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Röm. 8,38f.)

Vielleicht habt Ihr mit Euren Verstorbenen ähnliche Momente erlebt.

Behaltet sie in Euren Herzen!

Das walte Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

Amen.

Johannes Dübbelde

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