„Gerichtet“ – Predigt zur Thomasmesse

Predigt zur Thomasmesse am 26.11.2017

Gerichtet
So steht es auf dem Plakat
Ich frage mich wer?
Von wem?
Ist das schon geschehen oder kommt das noch?
Für beides gibt es biblische Belege.
Das Gericht am Ende aller Zeiten wurde früher manchmal drohend an die Wand gemalt…

Gleichzeitig steht beim Evangelisten Johannes:
wer an Jesus glaubt, wird nicht gerichtet
wer nicht an ihn glaubt, ist schon gerichtet…
(aber darüber in einer Thomasmesse nachzudenken,
wo doch Menschen eingeladen sind,
die sich gar nicht so sicher sind,
was sie glauben können und wollen,
ist vielleicht wenig hilfreich
Da könnten wir uns ja gleich mit der Glaubenspolizei vor die Tür stellen und ermitteln, wer was glaubt oder nicht glaubt.)
Aber mal direkt gefragt:
was bewegt Sie bei dem Wort?
Gerichtet? PAUSE
Ich denke an die vielen sprachlichen und zugleich inhaltlichen Möglichkeiten,
das Wort zu präzisieren
worum geht es denn dabei?
Bei diesem RICHTEN

Ums Hinrichten der Täter?
Um das Errichten der gültigen Regeln?
Oder doch ums Aufrichten der Gebeugten und Geschädigten?
Sollen Täter abgerichtet werden für eine besseres Sozialverhalten?
Oder darum, wie wir uns einrichten in einer wie auch immer gearteten Welt?
Geht es vielleicht
Um das, was wir angerichtet haben?
Oder um ein neues Ausrichten für ein Leben?
Meins? Deins? Unseres?
Mir scheint, all diese Möglichkeiten können mitschwingen, wenn einer gerichtet wird.

Vielleicht wird mancher sagen: es geht um Gerechtigkeit
Doch da würde ich vorsichtig sein…
Im Deutschen Strafgesetzsystem geht es darum gerade nicht.
Da geht es um Recht – also die festgelegten Regeln des Zusammenlebens
Und es geht um die Sanktionen,
die auf einen Rechtsbruch unbedingt folgen müssen,
damit der Rechtsfrieden gewahrt wird.
Sonst könnte ja hier jeder machen, was er wollte
Auf Hoher See und bei Gericht ist man in Gottes Hand, sagen meine Knackis manchmal.
Es ist nie vorher sicher, was am Ende dabei rauskommt.

Ein Ergebnis des Gerichts kennt schon Monopoly:
Wer sich nicht an die Spielregeln hält
Darf erstmal nicht mehr mitspielen: Gehen Sie in das Gefängnis – gehen Sie direkt dorthin – ziehen Sie keine 4000 Mark ein –

Im Deutschen Rechtssystem geht es um Urteile,
um Festsetzungen und um Beschlüsse.
Die regeln die Wirklichkeit, schaffen Wirklichkeit:
Der Mensch ist der ihm vorgeworfenenen Tat schuldig gesprochen und wird dafür verurteilt.
Das Ehepaar ist rechtskräftig geschieden
Diese Mutter bekommt das Sorgerecht zugesprochen…
Im Gericht wird performativ gesprochen. (wie beim Segen)
Rechtsgültige Urteile heißt das.

Gerechtigkeit wäre nach meinem Verständnis
mehr als das.
Wäre etwas,
was durch Unrecht zerbrochene Beziehungen ansieht und Menschen neu ermöglicht, miteinander zu leben.
Wäre die Suche nach einer gemeinsamen Wahrheit, in all den unterschiedlichen Geschichten.
wo es nicht zuerst um das Einhalten von Regeln
um jeden Preis geht.
Wäre ein Geschehen, wo alle Beteiligten gehört werden.
Wo Verantwortung übernommen wird für das,
was anderen als Schaden zugefügt wird.
Wo Wege zueinander gesucht werden.
Und wo zwischen allen Beteiligten
unter der Moderation des Richters,
der dafür sorgt, dass es fair zugeht,
miteinander ein Ausgleich geschaffen wird.
Dann wäre der Schmerz der Opfer so gewürdigt,
dass sie lernen können, mit dem zu leben,
was ihnen geschehen ist.
Und die Täter würden spüren,
was sie angerichtet haben.
Es könnte sogar irgendwann
nach angemessener Buße und Reparationen
wieder einen Weg der Vergebung und Versöhnung geben. Dann könnte
sogar nach einem Rechtsbruch
eine neue Geschichte miteinander möglich werden.
Aber ob das in der Welt realistisch ist?
Dann doch besser die Täter des Unrechten wegsperren, damit sich die Opfer und die Wohlanständigen
wenigstens sicher fühlen können.
Mit denen will ja auch niemand mehr
in Gemeinschaft leben.
Der Sabbat ist um des Menschen willen da
und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
Damit ist Jesus schon früher angeeckt
Die Regeln brauchen wir, denn die Menschen sind schlecht.
Nur die Angst vor dem Erwischt werden
hält viele davon ab, das Schlechte auch zu tun…
ist doch so, oder?

Und überhaupt, wenn er sagt, wir sollen nicht richten
Verlangt er da nicht etwas Unmögliches?
Wir brauchen doch Regeln
Etwas, woran wir uns halten können.
Wir brauchen Geländer im Leben.
Richtig und Falsch
Gut und Böse…
So finden wir uns zurecht. Orientieren uns in der Welt.

Der Sabbat ist um des Menschen willen da
Und nicht der Mensch um des Sabbats willen…

Jesus geht es wohl um den Geist des Gesetzes
Nicht um den Buchstaben
Um das Wozu, seinen Sinn für die gemeinsame Zukunft
Wozu ist das Gesetz da?
Welche Richtung weist es im Leben?
Es soll das Zusammenleben ermöglichen
Es soll die Schwachen schützen
Es soll das Leben fördern

Fakt ist
Regeln werden gebrochen
Menschen verletzen einander
Es braucht eine Richtung
Einen Weg um zerstörtes zu sehen
Um verletztes zu heilen
Und Schuld zu benennen.

Das System, in dem wir leben
Macht das, so gut es das kann
Es bleibt immer unvollkommen
Kann nur bestimmte Aspekte betrachten.

Aber wir
Also Du und Du und Ich und er
Wir sind schon angeregt
Uns immer wieder fragen zu lassen
Wie ist das mit Deinen Urteilen, Mensch?
Deiner Richtkompetenz
Wo und wann nimmst Du Dir heraus
Richtig und Falsch
nach Deinem Gutdünken zu verteilen?
Wenn ich mich dabei selbst erwische,
könnte das ein Grund zum Innehalten sein.
Und dann macht:
Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet, Sinn.
Denn dann spüren wir,
wenn wir wahrhaftig mit uns selbst sind,
dass wir auch selbst Unheil anrichten
Und nicht perfekt sind.

Wie gut, wenn wir uns dann an den wenden
Der auch auf dem Plakat war
Mit weit ausgebreiteten Armen
Der alle Facetten gesehen hat.
Der mit Gottesaugen geschaut hat
Jesus
Der die Frau im Tempel sah und erkannte, dass sie alles gab, was sie hatte
Der diejenige, die beim Ehebruch erwischt wurde ansah und ihr sagte: dann verurteile ich Dich auch nicht
Jesus
Den Sohn
Er hat alles gesehen
Das weiß und das Schwarz und das viele Grau dazwischen
Und hat geliebt

Was für ein Wunder…

Und wenn wirklich dieses große Gericht kommt
Ganz am Ende
Wenn Gott selbst auf alles schaut
Dann glaube ich
Dass er alles sieht
Das worauf wir stolz sind
Und das, wo wir Mist gebaut haben
Das, wo wir verletzt wurden
Und wo wir Schaden angerichtet haben
Er sieht alles
Auch das, was wir selbst nicht sehen wollen
Und das ist schrecklich
Das wird der Schmerz sein, und die Scham und das Gemeine und das Frohe
Alles wird sein
Es wird schrecklich
Und es wird heilsam
Und ich hoffe
Dann ist alles gut.
AMEN

Predigt zur Thomasmesse am 26.11.2017
Predigerin: Carmen Tomaszewski