FREIHEIT – Oder der Kern des Christlichen Glaubens in einem(!) Wort

PROLOG:

Rom, ca. 60 nach Christus: Auf einem Skavenmarkt werden Menschen Skalven, Menschen, die aus dem römisch besetzten Mittelmeerraum von Sklavenhändlern angeliefert worden sind. Sie tragen Fesseln an den Füßen. Ein wohlhabender römischer Bürger kauft einen Sklaven. Der Sklavenhändler löst die Fußfessel des Menschenmaterials, und er verkauft die Menschenware.

Der römische Bürger bezahlt den Preis, und dann sagt er zu dem Sklaven: Komm, Du bist frei. Der Sklave ist völlig überrascht. Kriege ich denn jetzt keine Fessel mehr an die Füße? Und wo sind die Ketten?

Der Käufer sagt zu dem Sklaven: Du bist frei. Ich habe dich gerade freigekauft. Weißt Du, in meinem Leben gibt es einen, der heißt Jesus. Und der hat auch mich freigekauft. Denn ich war auch in Ketten, es waren andere Ketten als deine, aber es waren Ketten. Deshalb: Komm! Komm einfach mit. Du bist frei.

Der Sklave denkt: Etwas besseres als diesem Herrn zu begegnen kann mir nicht passieren. Und natürlich kommt er mit.

Liebe Gemeinde, die ersten Christen damals in Rom, das waren Hausgemeinschaften. Menschen, die allesamt eine Freiheitserfahrung gemacht haben, weil da einer war, der sie freigekauft hat.

Römische Bürger, römische Familien, die mit ihren Sklaven zusammen eine Hausgemeinschaft wurden.

FREIHEIT.

Der Apostel Paulus, der die Gemeinde in Rom gegründet hatte, schreibt in seinem Brief an die Gemeinden in Galatien:

ZUR FREIHEIT HAT UNS CHRISTUS BEFREIT. SO STEHT NUN FEST UND LASST EUCH NICHT WIEDER DAS JOCH DER KNECHTSCHAFT AUFERLEGEN (Gal. 5,1)

Predigt

Acker und Gedenkstein bei Stotternheim, Juli 2018 (Foto: J. Dübbelde)
Acker und Gedenkstein bei Stotternheim, Juli 2018 (Foto: J. Dübbelde)

Ein Acker bei Stotternheim (Nähe Erfurt), Sonntag, der 2. Juli 1505

Für den jungen Mann war in seinem bisherigen Leben eigentlich alles ganz gut gelaufen. Er war in einem einigermaßen begüterten Elternhaus aufgewachsen, der Vater (Hans Luder, *1459, +29.5.1530) war Unternehmer, Hüttenmeister und Grubenbesitzer, und der legte Wert darauf, dass aus dem Jungen was ordentliches wird. Der Vater war der Meinung, der Junge sollte Jurist werden.

Der Junge ist einundzwanzig Jahre alt, als er zu Fuß unterwegs ist in der Nähe von Stotternheim bei Erfurt. Wir schreiben Sonntag, den 2. Juli 1505. Der Junge befindet sich auf einem freien Feld. Es ist später Nachmittag. Die Dämmerung setzt ein. Ein Gewitter zieht auf. Es regnet wie aus Kübeln. Der Junge hat Angst.

Ein gewaltiger Blitz donnert auf den Acker. Der Junge wirft sich in Todesangst auf den Boden. Da platzt es aus ihm heraus:

HILF DU SANKT ANNA – ICH WILL EIN MÖNCH WERDEN !

Detailbild Gedenkstein in stotternheim
(Foto: Johannes Dübbelde)

Das Gewitter zieht vorbei. Benommen steht der Junge wieder auf. Noch weiß er nicht, dass dieses Gewitter sein Leben radikal verändert hat. Und er weiß auch nicht, dass dieses Gewitter bei Stotternheim noch 500 Jahre später als das berühmteste Gewitter der Weltgeschichte in Erinnerung sein wird. Und zwar wegen ihm, dem jungen Mann, und wegen dem Schwur, dem Gelübde, das ihm, als er auf dem Acker lag, über die Lippen gekommen war.

HILF DU SANKT ANNA – ICH WILL EIN MÖNCH WERDEN !

Was er noch nicht weiß, aber sehr bald erfährt, das ist die Tatsache, dass dieses Gewitter bzw. das Gelöbnis gegenüber der Heiligen Anna ihn zuerst mal, zumindest für ein paar Jahre, in ein Korsett von sehr strengen Regularien, Vorschriften und Gesetzen hineinzwingen wird; ein moralisches Korsett, das ihn fast bis in den Wahnsinn hinein treiben wird.

Martin Luther heißt der junge Mann, und das Gewitter bei Stotternheim ist so etwas wie der Urknall der Evangelischen Kirche weltweit, aber auch das ist dem jungen Mann im Augenblick dieses Erlebnisses natürlich noch nicht im Geringsten bewusst.

Im Gegenteil: Martin Luther wird erst mal so richtig „katholisch“ würden wir heute sagen. Er wird so streng katholisch, dass sogar der Abt des besonders konservativen Augustiner-Eremiten-Ordens in Erfurt, dem der junge Luther als Novize aufgenommen wird, zwischendurch mal, vielleicht mit einem Augenzwinkern zu ihm sagt: „Hör mal Martin, sooooo eng musst du’s noch nun auch nicht immer sehen“.

Aber Luther hört nicht auf solche Stimmen, im Gegenteil: Er quält sich bis zum Geht-Nicht-Mehr. Er betet von morgens bis abends. Er versucht alles richtig zu machen, aber je mehr er sich bemüht, desto größer wird seine Verzweiflung.

Er legt sich Ketten an die Füße, um sich selber zu bestrafen – für seine Sünden, für seine totale Unzulänglichkeit, wie er es empfindet.

Martin Luther ist verzweifelt – über sich selbst, ob seiner Sünden und seiner Fehler.

Für ihn lautet die entscheidende Frage: Wie, um Himmels willen, bekomme ich einen gnädigen Gott? Wie kriege ich das hin, dass Gott mich mögen, und mich ansehen wird???

Die meisten Menschen heute empfinden diese Frage, wie man an einen „gnädigen Gott“ kommen kann, als ziemlich merkwürdig und abwegig. Dass das so ist, liegt – Ironie der Geschichte – unter anderem daran, dass das, was in Stotternheim angefangen hat, eine Erfolgsgeschichte war.

Aber der Reihe nach: Martin Luther hat nach der Erfahrung in dem Gewitter bei Stotternheim zunächst mal seinem Vater das Jurastudium aufgekündigt.
Stattdessen ging er ins Kloster. Er wurde in „hundertfünzigprozentiger“, ein absolut linientreuer Mönch. Schon bald wird er Professor. Er wird Theologieprofessor an der Universität in Wittenberg, aber im Herzen ist er immer noch der „kleine Martin“ mit seiner Angst vor dem bösen, strafenden Gott, der alles sieht, vor allem die Dreckecken.

In seiner Verzweiflung sucht Martin Luther Zuflucht in der Bibel. Das Neue Testament gibt es Luthers Zeit nur auf Griechisch und das Alte Testament auf Hebräisch – oder beides auf Kirchenlatein, also alles nur so, dass nur Theologen etwas davon verstehen (und sich auf ihr Verstehen etwas einbilden) konnten, nicht aber „Otto Normalverbraucher“.

„Das muss sich ändern“ sagte Luther zu sich selbst und auch anderen. Zum Beispiel zu Kurfürsten und Politikern, denen der Papst in Rom ein Dorn im Auge war, sei es aus Glaubens- oder gerne auch aus machtpolitischen Gründen.

Martin Luther gerät in die Mühlen der Politik. Kirchenpolitik!

Der Papst in Rom wird auf ihn aufmerksam.

Luther prangert den Ablasshandel an, jene erfolgreiche Methode des Vatikans, mithilfe von inflationär auf Papier gedruckten und mit einem Siegel des Papstes glanzvoll versehenen und gewinnbringend verkauften Sünden-Erlass-Scheinen den Bau des Petersdoms in Rom zu finanzieren, mit der er sich als „Heiliger Vater“ ein Denkmal zu setzen gedachte.

Als Werbeslogan hatten sich die Berater des Papstes den Spruch ausgedacht:

Der Thaler in dem Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.

So einfach soll das sein? Nein, sagt Luther. Man kann Gott nicht kaufen. Auch Sündenvergebung kann man nicht kaufen.

Luther sieht den Papst und seine ganze Kirche auf einem falschen Weg. Und das sagt er auch öffentlich.

Am berühmtesten sind seine 95 Thesen, die er in Wittenberg am Schwarzen Brett der Schlosskirche veröffentlicht, also dort, wo alle hingucken, die lesen können.

Eine dieser Thesen lautet: Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem Untertan im Glauben, und er ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan in der Liebe.

Wie geht die Geschichte weiter?

Nun, Luther wird verfolgt. ER wird nach Rom zitiert. Er soll seine Lehren öffentlich widerrufen, aber er sträubt sich. Er widerruft NICHT.

Nicht in Rom, wohl aber auf dem Reichstag in Worms 1521 kommt es zum Streitgespräch mit dem päpstlichen Gesandten Doktor Johannes Eck.

Luther sagt: Ich widerrufe nicht! – Hier stehe ich, ich kann nicht anders! Gott helfe mir. Amen.

Im Vorfeld des Reichstags zu Worms wurde Luther freies Geleit zugesichert, sonst wäre er wohl nicht gekommen.

Trotzdem: Kurz nach dem Verlassen des Reichstags wird er für vogelfrei erklärt, und das war gefährlich. Es kommt zu einem fingierten Überfall, einer fingierten Entführung, die Kurfürst Friedrich der Weise, ein Freund Luthers, eingefädelt hatte.

Luther geht in den Untergrund. Als Ritter Junker Jörg geht er auf der Wartburg bei Eisenach in Klausur. Er legt eine Zwangspause ein, die er, um seine persönliche Sicherheit nicht zu gefährden, einlegen muss, um sich dem Zugriff der Häscher des Papstes zu entziehen; des Papstes, der ihm nach dem Leben trachtete, weil er, Luther, die Kreise und die finanziellen Machenschaften des Papstes störte.

Luther nutzt diese Zeit auf der Wartburg, um die Bibel ins Deutsche zu übersetzen, damit alle Menschen sie verstehen können.

Nur einen einzigen Monat braucht er, um das gesamte Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. Die „Septemberbibel“!

Was für eine Arbeitswut, was für ein Feuer im Herzen muss das gewesen sein, das da von Luther Besitz ergriffen hat?

Wovon war Luther auf einmal so ergriffen?

Es war der Satz des Apostels Paulus, den Luther, wie die Legende sagt, erst auf dem Klo verstanden hat:

ZUR FREIHEIT HAT UNS CHRISTUS BEFREIT. SO STEHT NUN FEST UND LASST EUCH NICHT WIEDER DAS JOCH DER KNECHTSCHAFT AUFERLEGEN (Gal. 5,1)

Was bedeutet das?

Zu Paulus‘ Zeiten bzw. für die Galater und später auch für Luther war es die Freiheit von etwas.

Freiheit – weg(!) von religiösen Zwangsvorschriften – hin(!) zu der Erkenntnis, dass man die Gnade Gottes nicht kaufen kann, wie man auch das Leben selber nicht kaufen kann.

Und was machen wir?

Wir verstehen „Freiheit“ heute vielfach nur als Freiheit, ungezwungen dieses oder jenes nach eigenem Belieben tun oder auch lassen zu können.

Dabei vergessen wir, dass Freiheit sich eigentlich immer nur dann richtig entfalten kann, wenn sie nicht nur eine Freiheit von etwas ist, sondern auch eine Freiheit zu etwas ist.

Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem Untertan im Glauben, und er ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan in der Liebe. (These 3 an der Schloßkirche in Wittenberg)

Mit anderen Worten: Echte Freiheit ist nicht nur Freiheit von etwas, sondern eine Freiheit zu etwas, oder: in Richtung auf etwas.

Freiheit und Verantwortung sind evangelisch.

Verantwortung für die Welt, für das Leben, für das Miteinander.

Das walte Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

Amen.

Johannes Dübbelde


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