Noch keine Kommentare

Leseecke: Vom Aufstehen (Helga Schubert)

Diesen Sommer war mein Urlaub anders als sonst. Ich hatte zu viele Termine und leider keinen Ortswechsel. Letzteres fehlte mir, um vom Alltag Abstand zu bekommen.

Vielleicht haben Sie so etwas auch schon erlebt und sind aus den Urlaubstagen „gefühlt“ wenig erholt in den Alltag zurückgekehrt. Und vielleicht haben Sie dann auch schon einmal so wie ich erlebt, dass sich dann plötzlich eine ganz andere wertvolle Türe auftut.

Diese Türe, die besteht für mich ganz oft in der Lektüre eines richtig guten Buches. Ein Buch, das einen herausreißt aus dem alltäglichen Einerlei. Ein Buch, das die dunklen Wolken wegschiebt und den Himmel zeigt und das einen wieder durchatmen lässt. Solch ein Buch habe ich gelesen und möchte es Ihnen heute vorstellen.

Die Autorin war mir bisher nicht bekannt. Obwohl sie schon einige Literaturpreise erhalten hat. Mittlerweile 80-jährig hat sie, nachdem sie sich bereits aus dem literarischen Leben zurückgezogen hatte, wieder ein Buch herausgebracht. Ein Buch über sich selbst. Aber keine Angst. Keine langweilige Autobiographie, kein Lebensbericht im üblichen Sinne. Nein, obwohl sie sich praktisch nicht erwähnt, erzählt sie in 29 Kurzgeschichten ihr Leben.

Ein Leben von unbeschwerter Kindheit, zumindest in den langen Sommerferien, die sie bei ihrer Großmutter auf dem Land verbringen durfte. Von diesen guten Zeiten, so wird bei der Lektüre deutlich, zehrte sie dann in weniger erfreulichen und schweren Tagen. Damit möchte ich auch gleich darauf hinweisen, dass es sich bei dem Erzählband von Helga Schubert um ein sehr realitätsnahes Buch handelt, das auch negative Erfahrungen, Schmerzen und Leid nicht auslässt. Aber sonst wäre es ja auch lebensfremd, oder? Ein für mich beeindruckender Satz in der Erzählung „Keine Angst“ lautet: „Von Angst zu reden macht Mut…“ Dabei geht es in der zitierten Passage um eine Begegnung der Autorin mit einem Studenten in Ostberlin.

Helga Schubert, ein Flüchtlingskind, in der DDR aufgewachsen, schildert in Alltagsgeschichten ein Leben, ihr Leben, das zugleich das Leben und Erleben vieler Menschen spiegelt und den „Spätgeborenen“ Einblicke in Zeiten gewährt,in der z.B. das geteilte Deutschland leider normal war.An anderer Stelle zitiert Helga Schubert Marie von Ebner-Eschenbach: „Nicht was wir erleben, sondern wie wir erleben, was wir erleben, macht unser Leben aus.“Und eine Erzählung widmet sie Ostern. In „Meine Ostergeschichte“ schreibt sie:

„Heute weiß ich: In dieser einen Woche vor Ostersonntag passiert alles, was ich inzwischen vom Leben verstanden habe: Wie schnell sich das Schicksal für einen Menschen ändert. Dass man verraten werden kann. Dass es immer unvermuteten Beistand gibt und einen Ausweg. An diese Hoffnung will ich rinnert werden. Einmal im Jahr.“

Ich wünsche viel Freude bei der Lektüre „Vom Aufstehen“.
Marina Knieling

dtv Verlag, ISBN 978-3-423-28278-9 22,– Euro

Einen Kommentar posten